Auf dem Dach vom Stadthaus 1

Auf dem Dach vom Stadthaus 1

Ein leidenschaftlicher Boulespieler hatte mit seinem Motorrad einen folgenschweren Unfall. Als er im Krankenhaus wieder zu sich kam, überbrachte ihm der Chirurg die schlechte Nachricht, dass er ihm die rechte Hand hatte amputieren müssen – seine Boulehand. Der Spieler war am Boden zerstört. Er war sich sicher, dass er mit der anderen Hand niemals so viel Gefühl für das Legen, niemals diese Treffsicherheit beim Schießen entwickeln würde. Er hatte die Fähigkeit verloren, das zu tun, was ihm mehr bedeutete als alles andere. Er glaubte, auch den Sinn seines Lebens verloren zu haben.

Unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Raphaels-Klinik ging er ins Stadthaus 1 und fuhr mit dem Aufzug bis ins oberste Stockwerk. Er öffnete die Tür zum Dach und ging entschlossen bis an dessen Kante vor. Mit einem Sprung wollte er diesem Leben ein Ende setzen.

Als er in die Tiefe schaute, sah er etwas Erstaunliches: unten auf der Heinrich-Brüning-Straße war ein Mann ganz ohne Arme, der voller Freude die Straße entlang tänzelte!

„Meine Güte“, dachte der Spieler bei sich, „ich habe nur meine Boulehand verloren, und da ist ein Mann, der gar keine hat, nicht einmal Arme, und er tanzt! Wie kann ich da den Tod suchen?“

Er entschied sich für das Leben und kam vom Dach wieder herunter. „Ich muss aber unbedingt das Geheimnis dieses Mannes herausbekommen“, dachte er bei sich. „Wie kann er so glücklich sein – ganz ohne Hände?“

Er rannte zum Aufzug, fuhr ins Erdgeschoss und lief dem Mann hinterher. Noch auf der Höhe von Karstadt holte er ihn ein – ein Mann ohne Arme ist kaum zu übersehen.

„Danke, mein Herr! Vielen, vielen Dank! Sie haben mir soeben das Leben gerettet. Ich bin Boulespieler und habe durch meinen Motorradunfall die Hand verloren, mit der ich unglaublich viel Freude und Erfolg beim Boulen hatte. Das hat mich so fertig gemacht, dass ich vom Stadthaus springen wollte. Doch da sah ich Sie, wie Sie tanzten. Verraten Sie mir bitte, wie Sie ohne Arme dermaßen glücklich sein können.“

Der Mann ohne Arme schwieg einen Moment lang. Dann sagte er: „Na ja, ein richtiger Tanz war das eigentlich nicht. Ich habe bloß versucht, mich am Hintern zu kratzen.“ 

nach Ajahn Brahm „Der Elefant, der das Glück vergaß“ (Lotos Verlag)